Samstag, 7. Januar 2017

DIe Lesungen

Ochsen und Rosen

Schlafende Dinge unter Decken aus Spinnweb und Zeit. Das Verbliebene, Verwaiste lagert im Keller. Auf dem Grund des Hauses ruht das Material der Geschichte, aus der du gemacht bist.
Darf man stören? Einbrechen in die dunkle Stille der Vergangenheit, ins eigene Gestern mit jedem Gedanken, jedem Atemzug, jeder Bewegung. Sich an den Gegenstand gewordenen Erinnerungen zurückziehen bis dorthin, wo all dies noch neu war und glänzte …

Alles ermüdet. Auch was schön war. Das Nützliche ent-nützlicht unter Vergessen und Staub. Geräte unbestimmbarer Herkunft und Bestimmung. Holz, grau wie Asche, eine rostige Axt. Kisten ... will ich wissen, was darin ist? Verbeulte Koffer voll mit alten Stoffen, ... selbst tote Schuhe finden sich darin!
Schränke widersetzen sich mit stöhnendem Knarren dem Geöffnet-werden … Und still im hintersten Fach: Seidenpapier, brüchig wie trockene Schmetterlingsflügel, darin kostbar eingeschlagen kleine Rosen auf weißem Porzellan. Solange sie träumen, blühen sie - selbst hier, im Dunkel des Kellers.
Bücher und Bündel von Briefen, mit einem breiten Band sorgsam umwunden. Das  Band, damals fest geknotet, unauflöslich, bricht jetzt bei Berührung. Die Briefe in Kurrent. Ich kann sie nicht entziffern. Doch die Schrift, schwarz auf weiß, gilt und besteht.

Braunbleiche Fotos vergangener Welten. Vater und Sohn, Ochsen im Joch. Die Ochsen ziehn dem Sohn die Bahn des Vaters vor. Alle sind sind tot, doch das Joch blieb bestehn.
Und die Rosen? Erstarrt unter der Pflicht zu blühn. Erstarrt im So-Sein, im So-Sein-Müssen.
Nur, weil etwas  „schon immer so war“, ist es deshalb gültiger?
So viele Regeln, die du heute noch befolgst ... Der Boden, auf dem du stehst, das Blei in den Schuhen.
Das Vergehen der Zeit …  Aber in Wahrheit  ist hier im Haus nichts, ist nie etwas vergangen. Du findest immer nur: Das sich nicht trennen können. Das Bewahren wollen, Bewahren müssen! Als ob man so aufs Dasein bestehen könnte! Und nun? Wie wäre es, aufzuhören? Lass den Toten zurück, was ihnen gehörte! Wie leicht könnte dieses Haus dann sein?





Schlaf

Die Augen schwer, im Übergang zwischen Wachen und Träumen. Ein jedes Ding wird nun Kontur: gehört es noch zu dieser oder schon zu einer anderen Welt? Im Sinken, Entgleiten holt dich das zuckende Erschrecken deines Körpers, der nicht mehr weiß, wohin er denn gehört, zurück:
 „Nein! Ich träume nicht!“
Ach, träumst du das nicht schon?
Was in dir heraufsteigt waren Gedanken, werden Gespinste ... Bilder, die ungerufen kommen und aus sich selbst entstehen. Der wirre, schleierhafte Schlaf gleicht einer Treppe, die zur Bühne führt, und jeder, der dein Haus, bewohnt, kann auf- und abgehn wie er will, denn alles gilt dem Träumenden gleich.

Alles, was verloren war, hier kehrt es wieder. Du brauchst kein Haus, kein Herz mehr. Nun ist alles Herz. Nun bewohnst du ganze Kontinente! Selbst fliegen kannst du hier und mit den Engeln sein. Die Toten treten ohne Zögern dorthin, wo sie einst standen. Dicht neben dir kannst du sie fühlen, sie berühren.

Was ist nun wahr?
Wer bist du wirklich?... Der sich frei durch die Bilder bewegt oder der schlafend liegt? Tauchst du deine Hand wirklich in das funkelnde kalte Wasser? Denn deine andre Hand, die schlafend drüben blieb, ahnt nichts davon. Oder träumt auch sie? Du weißt nicht mehr, was sein kann und was nicht. Du weißt nicht einmal mehr, dass du es nicht mehr weißt.

Mit sanfter Hand regiert dich Bild um Bild, und alles an Geschichten darf nun sein. Du sprichst in einer Sprache, die nicht verständlich ist, nur wahr. Alles ist bei dir:
Jeder Ort, jedes Leuchten, jedes Paradies und jede Art von Hölle, die du je durchquertest.  Alles ist bei dir, was du warst und was du bist. So schöpfst du dir aus Tausenden von Erinnerungen, eine Welt, die dir ganz selbstverständlich ist. Ein Atemzug, noch einer ...schau: die Wolken reichen nun schon fast bis an dein Bett! Gleich springst du auf! 





Wärst du ein Haus

„Wärst du ein Haus, es stünd' in einem Garten. Man könnt‘ sich gar nicht satt sehn an den Rosen, die um deine Fenster rankten. Ich seh‘s ganz klar vor mir, voll Sonnenlicht und Duft. Die Tür halb offen, um einzuladen ins warme Innere hinein. Verweilt` ich auf der Schwelle, spräch‘ drin im Haus schon jedes Ding von dir: Die Bank, der Tisch, darauf die Kirschen, dunkelrot, in weißem Porzellan. 
Und du. Du überall. Die Katze, leise, als wär sie fast nicht da, mit unergründlich tiefen Augen, wie hingemalt auf  ihrer warmen Fensterbank.
Die Spiegel zeigten alle dein Gesicht, als Mädchen und als reife Frau. Und zögernd blieb ich stehn und fänd‘ dies Haus das Schönste, das ich je gesehen  … Wärst du ein Haus, es stünde sicher und beschützt. Und durch die offnen Fenster zög ein Sommer ein, der niemals endet.“

„Wär ich ein Haus, es wäre abgetrotzt dem Land. Es stünd‘ hineingerammt in diesen Boden. Die Mauern hoch und dick. Die Türen fest versperrt. Und manche Räume mied ich ganz.
Wär ich ein Haus, es wäre nirgendwo verzeichnet. Der erste Anschein wäre Burg. Und ordentlich und stark! Doch dies verlöre sich rasch.
Ich hört es klopfen in der Nacht von unterm Boden her. Ich sicherte die Fenster, Schlösser alle und wär doch nie allein. Ich teilte meine Bettstatt mit den Geistern. Ich spräch nicht viel, da hier der Stimmen schon genug. Nicht jedes Hemd im Schrank wär mein`s, nicht jedes Ding vertraut. Das Eigene und das Ererbte türmten sich in mir und um mich her. Das Licht wär immer so, als ob der Herbst gerad hinüberginge in den Winter.
In einem kleinen Winkel nur, da wäre Licht, als wär‘s ein Herrgottswinkel.
Da wäre ein Teil Gold, ein Teil Palast, der hell sich öffnete ins Herz hinein, und sei's auch nur im Traum. Das Eigene, uneinnehmbar, umschlossen, ruhend. Meins.

„Ich sah die Menschen an als wär‘n sie Häuser. So sah ich dich und mich und manche andere. Sah sie als Schlösser, Hütten, Zelte und Verschläge. Sah glatte und zerfurchte, gigantische und kleine, eng geschmiegte und auch weit verstreute.
Ich sah sie neu und unvollendet und später im Zerfallen. Ich sah wie Menschen eingehn in ihr Haus, zum Schutz vor Sturm und Wetter. Ich sah durch off‘ne Türen, hörte Klingen und Gesang. Und Häuser sah ich, still, als wären sie im Meer versunken. Ich sah sie in der Sonne und im Regen. Im Regen, der alle Spuren löscht ...“

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